Header

Suche
  • Die zwei Citizen Scientists Ursula und Raffaele testen Roboter Lio.

Kann ein Roboter der bessere Gesprächspartner sein?

Für Ursula und Raffaele ist das keine rhetorische Frage. Im Rahmen eines Pilotprojekts aus dem Seminar «Citizens Consider(ed)» hat sich eine Projektgruppe mit Pflegeassistenzrobotern auseinandergesetzt. Sarah Sbalchiero war Teil dieses Teams. Sie berichtet vom Pilotprojekt, dem Gespräch mit zwei Citizen Scientists und den Herausforderungen.

Autorin: Sarah Sbalchiero

Unser Anspruch war es, uns nicht in theoretischen Diskussionen über KI-gestützte Roboter und den demografischen Wandel zu verlieren. Stattdessen gingen wir raus aus der Uni, um jenen zuzuhören, die nicht jeden Tag mit neuronalen Netzen oder Ethikrichtlinien zu tun haben, aber sehr wohl mit der Frage, wie Technik ihren Alltag verändert. Wir wollten herausfinden, was passiert, wenn Pflegeassistenzroboter nicht nur Kaffee servieren oder Medikamente transportieren, sondern auch mit uns sprechen. Was passiert, wenn ältere Menschen mit einem Roboter interagieren und versuchen, sich von ihm verstanden zu fühlen?

Dazu luden wir Ursula (82) und Raffaele (75), zwei Citizen Scientists aus der Region Zürich, zu einem Gesprächsformat in die Firma F&P Robotics ein. Sie gehören zu einer Altersgruppe, die in Zukunft wohl vermehrt mit Robotern in Berührung kommen wird. Denn insbesondere im Pflegebereich gelten sie als mögliche Antwort auf den Fachkräftemangel, der die Versorgung älterer Menschen zunehmend herausfordert. Bei unserem Treffen stand nicht die Technik im Mittelpunkt, sondern das gemeinsame Erleben: Wie fühlt es sich an, einem sprechenden Roboter zu begegnen? Was funktioniert, was irritiert? Ursula und Raffaele konnten den Roboter anfassen, mit ihm sprechen, ausprobieren, beobachten und kamen mit uns Forscherinnen sowie Niels Schlegel, dem KI- und Roboter-Softwareentwickler von F&P Robotics, ins Gespräch.

Ein Roboter als Zuhörer?

Der Roboter heisst Lio. Er wird von der Firma F&P Robotics in Zürich hergestellt. Lio fährt langsam, um niemanden zu gefährden. Seine weiche Oberfläche fühlt sich angenehmer an als Plastik. Er soll nicht zu menschlich wirken, sondern klar als Roboter erkennbar bleiben – mit Augen jedoch wirkt er freundlicher. Und laut Niels wird er vielleicht bald mit einem Large Language Model ausgestattet, also einem Algorithmus, der auf grosse Datensätze zurückgreift und für Konversationen trainiert ist.

Ursula, eine der Citizen Scientists, traf Lio in einem Büroraum bei F&P Robotics. Sie liess sich neugierig und mutig auf das Gespräch ein. Was sie sagte, hat mich überrascht:

«Ich finde ein Gespräch mit ihm angenehmer als mit einer Person, die mich nicht versteht [...]. Denn, er hat keine Gefühle. Aber ich kann meine loswerden. Und dann stimmt es doch für mich.»

Für sie war der Roboter keine blosse Maschine, sondern einfach ein neutrales Gegenüber, das nicht urteilt. Nicht unterbricht, wenn sie einmal Dampf ablassen will, über den «Blödmann von nebenan» . Der nicht genervt die Augen verdreht, wenn sie ein Thema zum wiederholten Mal anspricht. Einer, der einfach da ist und nicht wegläuft, wenn es persönlich wird.

Für Ursula war gerade das Gefühllose des Roboters befreiend. Ein Gegenüber, das einfach nur zuhört, ohne zu werten.

Weiterführende Informationen

Lehrprojekt: Citizens Consider(ed)

Mehr zu Lehrprojekt: Citizens Consider(ed)

Studierende entwickeln in unserem Seminar Citizen Science Projekte und setzen diese um.

Pflegeassistent Lio

Der Roboter Lio wird von der Firma F&P Robotics in Zürich hergestellt. Ob in Pflegeeinrichtungen, Laboren, Forschung oder Bildung: Lio übernimmt Assistenzaufgaben, schafft Entlastung und ermöglicht echte Mensch-Roboter-Zusammenarbeit. 

Die Firma F&P Robotics ist ein schweizerischer Vorreiter im Bereich Mensch-Roboter-Interaktion.

Technik, die fremd bleibt

Nicht alle sahen das so. Raffaele blieb skeptisch:

«Für mich bedeutet ein persönliches Gespräch, dass ich etwas habe, über das ich mit jemandem diskutieren möchte. Aber da finde ich den Zugang zu ihm nicht. Er ist kein Mensch – er ist einfach eine Maschine! Als Hilfe im Haushalt finde ich ihn gut, aber ich finde keinen persönlichen Zugang zu ihm. Er bleibt für mich etwas Fremdes.»

Für ihn war Lio nicht neutral, sondern leer und fremd: einfach eine Maschine. Für ihn war klar: Ein Roboter kann im Alltag helfen, aber kein Gesprächspartner-Ersatz sein. Seine Skepsis war nachvollziehbar. Das Gespräch mit Lio fühlte sich nicht wie ein freies Gespräch an.

Ursula formulierte es so:

«Er wird mir zur Verfügung gestellt, und ich denke: Ach, wie schön – jetzt habe ich einen Gesprächspartner. Und dann werde ich so gezwungen, Antworten zu geben.»

Der Roboter stellt ständig Fragen. Es ist eine Gesprächsdynamik, die mehr an ein Quiz erinnert als an Zuhören.

Raffaele ergänzte:

«Das war auch bei mir so: Er zwingt dich zu einer Frage, die er will.»

Menschen machen Maschinen

Dahinter war keine böse Absicht, sondern ein konfigurierter Algorithmus. Niels, der das Sprachmodell für Lio eingebaut hatte und fortan weiterentwickelt, erklärte offen, dass genau dieses Verhalten von ihm beabsichtigt wurde:

«Ich habe ihm quasi gesagt: Versuche, die User, also euch, immer wieder in die Interaktion einzubinden. Stell immer wieder Fragen. Und nun merke ich: Ok, das ist für euch nun zu viel. Das drängt etwas auf. Das kann ich reduzieren.»

Ein spannender Moment, der uns daran erinnerte, dass Technik ein Produkt menschlichen Handelns ist. Ob ein Gespräch als «frei» empfunden wird, hängt davon ab, wie die KI konfiguriert wurde. Sie wird von Menschen gestaltet, mit Annahmen, Absichten und manchmal auch gut gemeinten Fehlern.

Diese Momentaufnahme aus dem Seminarprojekt zeigt für mich das Potenzial partizipativer Forschung. Das Einbeziehen verschiedener Interessensgruppen und eine offene Herangehensweise bringen überraschende und unbequeme Perspektiven hervor, die für eine bevölkerungsnahe Forschung einen echten Mehrwert bieten können.

Zu Sarah Sbalchiero: Sarah hat Visuelle Kommunikation studiert und war danach mehrere Jahre in verschiedenen Medienunternehmen tätig, unter anderem beim SRF, bevor sie in Barcelona einen Master in Strategischem Design mit Fokus auf Komplexität absolvierte. Aktuell absolviert sie einen weiteren Master in Soziologie. Sie hat im Frühjahrssemester 2025 am Lehrprojekt «Citizens Consider(ed)» teilgenommen.

Unterseiten